Das Sächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen musste sich in einer aktuellen Entscheidung (OVG, Bautzen, Beschluss vom 13.06.2022 – 2 B 143/22 = BeckRS 2022, 14578) mit dem Rechtsmittel der Beschwerde eines Polizeikommissaranwärters befassen, der damit erreichen wollte, dass er wegen besonderer Härten zu einer zweiten Wiederholungsprüfung zugelassen wird.
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Beschwerdeführer war Polizeikommissaranwärter und Studierender an der Hochschule der Sächsischen Polizei. Am 17.08.2021 nahm er an der mündlichen Wiederholungsprüfung in einem Studienmodul teil. Am 20.08.2021 wurde ihm durch Bescheid mitgeteilt, dass er diese Wiederholungsprüfung nicht bestanden habe. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer Widerspruch und stellte unter Berufung auf besondere familiäre Belastungen sowie durch Corona bedingte Erschwernisse bei der Prüfungsvorbereitung einen Härtefallantrag nach § 45 Abs. 2 SächsAPOPol. Sowohl der Widerspruch als auch der Härtefallantrag wurden verworfen und das endgültige Nichtbestehen des Beschwerdeführers wurde festgestellt. Hiergegen geht der Beschwerdeführer im Klagewege vor. Darüber hinaus verfolgt der Beschwerdeführer sein Begehren auch im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes. Er trägt hierbei vor, dass die Vorbereitungszeit für die einzelnen Prüflinge unterschiedlich lang gewesen sei, dass der Prüfungsstoff verlassen worden und die Vorbereitung im Studium nicht ausreichend gewesen sei. Zudem müssten die ganz offensichtlichen und evidenten Belastungen durch die Corona-Pandemie berücksichtigt werden, da sich die Pandemie in erheblichem Umfang auf die einzelnen Lerninhalte und deren Vermittlung im Studium ausgewirkt habe. Außerdem liege auch in dem Umstand, dass er erst kurz vor der Prüfung von einer schweren Erkrankung seiner Ehefrau erfahren habe, eine besondere Härte. Dieses Vorbringen hatte in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht Dresden keinen Erfolg.
In seiner Entscheidung legt das OVG Bautzen zunächst einmal den Prüfungsmaßstab für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO dar: danach bedarf es für deren Erlass sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes.
Den Anordnungsgrund erkennt das OVG in der Gefahr des Verlusts speziellen Prüfungswissens. Müsste der Beschwerdeführer erst die Entscheidung über seine Klage im Hauptsacheverfahren abwarten und gestattet man ihm solange nicht die vorläufige Teilnahme an der zweiten Wiederholungsprüfung, so droht in dieser Zeit, polizeispezifisches Prüfungswissen verloren zu gehen. Diesem Umstand kann durch die vorläufige Zulassung zur Wiederholungsprüfung auf einfache Art und Weise begegnet werden, sodass ein Anordnungsgrund vorliegt.
Hinsichtlich des Anordnungsanspruches führt das OVG aus, dass dieser nicht im eventuellen Vorliegen von Verfahrensfehlern erblickt werden kann, denn solche seien nicht wirksam festgestellt worden. Die wirksame Feststellung solcher Verfahrensfehler scheitert im vorliegenden Fall daran, dass der Beschwerdeführer seine diesbezügliche Rügepflicht verletzt hat. Die Rechtsprechung (so z.B. auch der erkennende Senat des OVG Bautzen, Beschluss vom 25.09.2013 – 2 B 436/13, juris) verlangt in solchen Fällen, dass ein Mangel des Prüfungsverfahrens wegen des Gebots der Chancengleichheit grundsätzlich unverzüglich gerügt werden muss. Dies hat zwei Gründe: einerseits soll sich der Prüfling nicht dadurch, dass er die Prüfung absolviert und bei einem schlechten Prüfungsergebnis die Prüfung wegen Mängeln anficht, Vorteile verschaffen; anderseits soll der Prüfungsbehörde durch die Rügepflicht die Möglichkeit eröffnet werden, den Mangel selbst zeitnah überprüfen und dann korrigieren bzw. kompensieren zu können. Ein Mangel gilt demnach nur dann als unverzüglich gerügt, wenn er während oder unmittelbar nach der Prüfung geltend gemacht wird. Das Gericht betont in seiner Entscheidung nochmals ausdrücklich, dass die Rügepflicht unabhängig davon besteht, ob es hierzu eine ausdrückliche normative Regelung gibt. Da eine solche Rüge hier nicht erfolgt ist, konnte sich der Beschwerdeführer nicht auf etwaige Verfahrensfehler berufen und hatte deshalb auch keinen Anordnungsanspruch.
Ein solcher Anordnungsanspruch ergab sich auch nicht daraus, dass der Prüfungsstoff verlassen worden wäre, da ein Studiengang für den gehoben Polizeivollzugsdienst eine selbstständige und eigenverantwortliche Erfüllung der Dienstpflichten als Polizist ermöglichen und ein problemorientiertes Denken fördern soll. Dies bedeutet aber auch, dass Prüfungsgegenstand nicht nur die bloße Reproduktion von Wissen oder die Demonstration nicht-autonomer Fähigkeiten sein können. Folglich konnte der Beschwerdeführer einen Anordnungsanspruch nicht auf sein diesbezügliches Vorbringen stützen.
Allerdings ergab sich ein Anordnungsanspruch des Beschwerdeführers aus § 45 Abs. 2 S. 1 SächsAPOPol wegen Vorliegen eines besonderen Härtefalls. Nach dieser Norm muss einem Prüfungsbewerber die Möglichkeit einer zweiten Wiederholung der Prüfung eingeräumt werden, wenn Gründe für die Annahme bestehen, dass sein bisheriges Versagen in einer Ausnahmesituation wesentlich auch auf atypische leistungsmindernde Umstände zurückzuführen ist, die er nicht oder nur in geringem Maße zu vertreten hat (so auch VGH Baden-Württemberg, Beschluss v. 13.03.1996 – 4 S 1684/95, juris). Ein solcher Ausnahmefall setzt also das Vorliegen außergewöhnlicher, prüfungsrechtlich relevanter Umstände voraus, die vom Prüfling nicht zu beeinflussen oder sonst zu vertreten waren und sein Leistungsvermögen so erheblich beeinflusst haben, dass sein Prüfungsversagen darauf beruht. Im Gegensatz zur Bewertung einer Prüfungsleistung bedarf es bei der Feststellung einer besonderen Härte keiner von persönlichen Einschätzungen und Erfahrungen geprägten komplexen Bewertung wie bei der Prüfung, sondern lediglich einer sorgfältigen Abwägung der Umstände des Einzelfalls. Eine besondere Belastung ergibt sich dann regelmäßig beim Tod nächster Angehöriger, die kurz vor oder während der Prüfungs(vorbereitungs)phase versterben. Allerdings ist dies auf die nächsten Angehörigen begrenzt. Hierl lag mit der Nachricht von der schweren Erkrankung der Ehefrau eine solche besondere Härte vor.
Das Vorliegen einer besonderen Härte führt zu einem Ermessen der Behörde hinsichtlich der Zulassung zur zweiten Wiederholungsprüfung. Dieses Ermessen kann aber unter Umständen auf Null reduziert sein, sodass dem jeweiligen Beschwerdeführer ein Rechtsanspruch auf erneute Zulassung zur Wiederholungsprüfung zusteht. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist eine Leistungsprognose vorzunehmen, die unter umfassender Einbeziehung aller möglicherweise das Leistungsbild des Prüflings beeinflussenden Umstände zu erstellen ist (OVG Bautzen, Urteil v. 28.04.2011 – 2 A 612/08, juris). Fällt diese Prognose nicht negativ aus (d.h. sie kann auch neutral ausfallen!) reduziert sich das Ermessden der Prüfungsbehörde auf Null und es entsteht ein entsprechender Rechtsanspruch aufgrund des Rechts des Prüflings auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern (Art. 33 Abs. 1 GG), seiner Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) und seines Anspruchs auf Gleichbehandlung (Art. 3 I GG). Demnach besteht ein Ermessen der Prüfungsbehörde nur bei einer negativen Leistungsprognose.
Aus der Entscheidung des Sächsischen OVG Bautzen folgen gleich mehrere wichtige Erkenntnisse: zunächst einmal ist die Entscheidung wegen vergleichbarer Regelungen in den jeweiligen Ausbildungs- und Prüfungsordnungen auch auf andere Bundesländer übertragbar. Zum anderen bedeutet die Entscheidung, dass das Studium nicht automatisch mit der nicht bestandenen Wiederholungsprüfung enden muss! Liegen Prüfungsmängel oder besondere Härten vor, besteht die Möglichkeit eines zweiten Wiederholungsversuchs. Hierbei ist allerdings von eminenter Wichtigkeit, dass die jeweilige Rügepflicht beachtet und Mängel deshalb noch in der Prüfung gerügt werden. Geschieht dies nicht, ist eine Wiederholung nur noch bei Vorliegen besonderer Härten möglich, an die von der Rechtsprechung wegen des Gebots der Chancengleichheit hohe Hürden gestellt sind, bei deren Vorliegen sowie dem Vorliegen einer nicht negativen Leistungsprognose besteht aber ein aus den Grundrechten des Prüflings abgeleiteter Anspruch auf erneute Zulassung zur Wiederholungsprüfung.
Maurice Salm, LL.M. ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Augsburg Center for Global Economic Law and Regulation (ACELR) der Universität Augsburg. Dort promoviert er zu einem öffentlich-rechtlichen Thema. Zuvor war Herr Salm in gleicher Position in einer Kanzlei mit wirtschaftsrechtlichem Schwerpunkt und bei einem namhaften juristischen Repetitorium tätig. Darüber hinaus ist er seit mehreren Jahren als Dozent auf allen Gebieten es Öffentlichen Rechts für JuSPol tätig.